Die Freundin

Seit dem ich an Multiplet Sklerose erkrankt bin, und die körperlichen Einschränkungen sicht- und erlebbar

geworden sind, ist es privat sehr einsam geworden.

Eine Freundin, aus den Achtzigern, ich lebte während des Abrisses des Flora Theaters in einer WG im Schanzenviertel, mit ihrem Freund aus der Nicaragua Kaffee Arbeitsbrigaden Solidarität, hat sich auch gerade durch nicht mehr melden verabschiedet.

Ich habe ein paar Jahre noch ab und an, mit der Angst zu aufdringlich zu sein, hinterher telefoniert, es gab noch ein paar Treffen, mit Wein und Abendessen,jetzt ist auch das vorbei.

Radikale Akzeptanz, nannte das eine ehemalige Patientin, sich nicht mehr gegen das Faktische auflehnen.

Ich lebe in einem Parallel Universum, dass die Gesünderen meiden.

Als erstes verließ mich der Mann, mit dem ich seit neun Jahren, zunächst zwischen Hamburg und Nürnberg liiert war. Für mich war die Diagnose ein ziemlicher Schock, Frauen mit MS, das waren die verhärmten Frauen mit dunklen Sonnenbrillen, die von ihren  Ehemänner, Schuld bewusst im Rollstuhl geschoben wurden, die Männer hatten sich in der jüngeren gesunden Frauen zugewandt, die Rollstuhl Frauen litten, auch angesichts der Einsamkeit. An meinem fünfzigsten Geburtstag mietete ich eine Barkasse im Hamburger Hafen, es waren über fünfzig Gäste. Ein schöner Tag mit einem Akkordeonspieler, schlechten Gesang, Erdbeertorte mit Sahne vom legendären Kaffee Boyens, Schlagsahne, Pro Secco von Rindchens Weinkontor aus dem Hof hinter meinem Garten. Das Fest fühlte sich abschiedlich an, etwas in mir wußte, die Meisten würde ich nicht wieder sehen. Ein fast heroischer Abgang.

Zynisch wäre zu bemerken, sie durften alle noch einmal auf meine Kosten durch den Hafen schippern.

Ich hatte damals eine Patientin mit Bezug zu den Barkassen, aus der Begegnung mit ihr entstand der Gedanke mit meiner ganz privaten Hafenrundfahrt.

„La Paloma“,spielte der Mann am Akkordeon, seine Freundin sang dazu. Ebenso ein paar Mädels auf meiner Gästeliste, schön zu singen war den Meisten nicht gegeben, aber sie teilten Freude, vorbei an den Docks kreuzten wir drei Stunden durch den Hafen.

Heike kam mit dem dementen Vater, der alten Tante des Ehemanns.

Ich bewirtete sie einige Jahre regelmäßig zum Frühstück.

Heike erzählte mir wie in einer Telenovela ihre verstündige Psychoanalyse wöchentlich, es war wiŕr, und ohne Erkenntnisgehalt, ich fühlte mich zugehörig.

Als ich sie einmal bat, bei schwinden Mobilität mich auf dem Weg zum Italiener abzuholen, ich fühlte mich unsicher, lehnte sie das ab, mich zu begleiten.

Das wäre der  Moment gewesen mich zu verabschieden, ich wollte das nicht akzeptieren, dass ich draußen war.

Ich hatte zudem kritisiert, dass sie die Tante anranzte, als die sich ihrem Redeschwall durch verlegen der Hörgeräte entzog. Ich wurde zum Fünfzigsten überhäuft mit Geschenken, ein paar Jahre später ausgeladen vom Raclette Essen, ich bezog es auf die fortschreitende Erlebbarkeit meiner Einschränkungen, „nicht mehr zugehörig“ . das ist mein privates Leben. Vor zehn Jahren realisierte ich, das nahezu alle meine menschlichen Begegnungen entweder durch meinen Beruf als Psychotherapeutin begründet sind, oder durch meine Erkrankung:

“ Ärzte, Physiotherapeuten, Pflege, Alltagsassistenten, Behörden, Hilfsmittel Versorger. Es gibt immer eine professionell und pekunär definierte Leistung zu erbringen, durch mich in meiner Arbeit, oder durch meine Dienstleister.

Ich mag diese klare Definiertheit der  Kontakte, es gibt kaum Überraschungen, die zeitliche Dimension ist überschaubar und definiert.

De Kontakte sind beiderseits freundlich und professionell.

Ich mag die Ruhe und Klarheit, es gibt keine enttäuschten persönlichen Erwartungen, keine narzisstischen Manipulationen, keine borderleinigen Entgleisungen.

Wir verbrachten einige Jahre Weihnachten zusammen,

Heike und ihre angeheiratete Familie, dann wurde ich aussortiert.

Vielleicht wäre es ohne Erkrankung auch vorbei gewesen, aber fünf Mal Raclette zu Weihnachten war schon zugehörig, für mich.

Im Juni hatte ich meine langjährigste Freundin Julia zu Besuch.

Ich hatte Essen bestellt, anlässlich meines Geburtstages, hatte ich einen guten Crement und Wein geordert.

Sie hatte Oliven, von dem Wochenmart, zudem ich früher gerne ging, mitgebracht.

Am Abend danach bekam ich Lust auf Oliven. Ich suchte im Kühlschrank, keine Oliven.

Ich schrieb ihr, wo sie wohl wären, die Antwort, im Kühlschrank.

Ich war entsetzt, dass sie die Oliven offensichtlich, ohne Ansage, Frage wieder mitgenommen hatte, und dann zunächst noch gelogen hatte.

Ich befragte über meine Ratgeberin die Chatliese, den Knigge, mitgebrachtes Essen ohne Aufforderung oder Einverständnis der Gastgeberin wieder mitzunehmen, das sei ein absolutes „No go“, gerne hätte ich das verziehen.

Dann war kein Kontakt mehr zwischen uns.

Im November versuchte ich sie telefonisch zu erreichen, die Oliven schon vergessen, kein Rückruf erfolgte auf meine Nachricht.

Im Dezember machte ich einen zweiten Versuch. Dann kam einen Tag vor Weihnachten eine WhatsApp Nachricht, sie fühle sich von mir überlastet, einen Verweis auf die Oliven, die sie ja mitgebracht und gekauft hätte, so sei es ihr recht gewesen sie mitzunehmen.

Warum dieser Ausbruch, wieder nicht zurück zu rufen, hätte die Botschaft,

“ lass mich in Ruhe, du nervst“, hinreichend Transportiert.

Einen Tag später, auf meine Nichtreaktion hin, innerlich schrieb ich einen langen Brief über meine Verletztheit, ersparte mir ein Eintauchen in alte Wunden, kam zum Weihnachtsfest eine leichte Relativierung, fast eine Entschuldigung, ich mochte nicht mehr, und blockierte den Kontakt mit dem Gedanken Mitte Januar ein schönes neues Jahr zu wünschen.

Ich bekomme einen „Flashback*.

Einige Jahre zuvor, nach einer Einladung zu Ihrem Geburtstag behauptete sie, ich hätte während der Feier unter den Tisch gewinkelt, ihre Freundin Sarah hätte mein schuldbewußtes Gesicht gesehen.

Diese Dame hatte mich während der Feier in ein Gespräch über die psychischen Nöte eines ihrer Familien Mitglieder verwickelt.

Während J. mich des urinieren unter den Essenstisch beschuldigte, fühlte ich mich wie meiner Kindheit, wenn meine Mutter mich beschuldigte, ich hatte keine Chance gehört zu werden.

Als ich sechs oder sieben Jahre alt, lebte ich mit meiner Mutter in einem fünfziger Jahre Wiederaufbau Haus in einer Zwei Zimmer Wohnung ohne eigenes Zimmer.

Im Nebenhaus war ein Tabak und Zeitschriften Laden. Mit der Tochter der Inhaberin war ich im gleichen Kinderrudel, die Wohnungen waren klein, wir waren viel draußen, ich hatte Rollschuhe, die über die? Schuhe geschnallt wurden, beim Fahren war ich glücklich.

Mit der Tochter der Ladenimhaberin war ich befreundet. Meinen Vater durfte ich nur alle drei Wochen für einen Sonntag sehen.

Von dem Geld was er mir zum Abschied gab kaufte ich im Laden Comics und Süßigkeiten.

Einmal schenkte sie mir einen Comic.

Meine Mutter beschuldigte mich ihn geklaut zu haben und glaubte mir  nicht. Sie schlug zu, mein Flehen zusammen zum Zeitschriftenladen zu gehen wurde nicht erhöht. Bis heute wird  mir warm um’s Herz, wenn ich diese Läden sehe.

Die warmherzige Inhaberin ist mir zu einem stabilisierendem innerem Objekt geworden, den vernichtenden Blick  der ausrastenden Mutter konnte sie nicht kompensieren mit ihrem warmherzigen  Blick, es gab ein bisschen Wärme beim Süßigkeiten Kauf, das  Geld vom Vater ermöglichte den  Zugang zu einer besseren Welt.

Das war das gleiche Gefühl wie mit der Beschuldigung des Uriniens unter dem Tisch.

Ich hatte mich während der Feier dreimal zur Toilette, die im Keller, erreichbar,über eine steile Treppe war geschleppt.

Ich wehrte mich nicht lange, dachte nur, und sagte nicht, hätte ich unter den Tisch uriniert, wäre es aus Not geschehen.

Ich brach den Kontakt nicht ab, vielleicht wegen der Einsamkeit die sich privat immer mehr breit machte, vielleicht wegen der fünfzig Jahre, die ich sie kannte, damals in der fünften Klasse, als ich endlich nicht mehr das einzige Kind mit einer geschiedenen berufstätigen, und allein erziehenden Mutter war ?.

Das ganze erinnert mich sehr an die letzte Begegnung mit meiner Mutter.

Ich holte sie  mit dem Auto, mit Anfang achtzig in ihrer Seniorenresidenz ab, es war ihr Geburtstag, ich hatte sie Anfang Juni in ein Kaffee an die Elbe zur Erdbeertorte eingeladen.

Sie hatte sich dort eingemietet, in ein kleines Beton Apartment, mit der Vorstellung, es wäre wie auf einer Kreuzfahrt, jeden Abend ist Captains Diner, der Kapitän  kommt abendlich an ihren Tisch, und erkundigt sich nach ihrem Befinden.

Der Kapitän, der Leiter der Einrichtung war bei der Werbeveranstaltung, vor dem Einzug zugegen, ansonsten fragte niemand nach der Befindlichkeit.

Auf dem Weg an die Elbe durch den Forst Klövensteen, begann sie mir in das Fahren hineinzureden.

Ich sagte zunächst freundlich, ich fahre nach dem Navi, und du bist seid Anfang der Achtziger nicht mehr gefahren.

Sie insistierte, dass der kürzlich verstorbene Horst, ihr letzter Partner auch nur durch sie so gut den BMW gelenkt hätte.

Ich erinnere nicht mehr, wie ich meinen Unglauben äußerte, aber dann stieß sie den Satz aus, der mir trotz ihres Todes vor drei Jahren noch in der Seele brennt.

„Du bist eine Schande für die Menschheit“, ich bedaure dich geboren zu haben.“

Ich bin in dieser Situation dissoziiert, ich habe mechanisch funktioniert, die Kaffee Tafel mit Erdbeertorte durchgezogen, sie zur Bank gefahren, dann in ihr Betonappartment gefahren, nichts gespürt.

Wäre das Leben ein VHS Recorder, hätte ich zudem verbalen Übergriff zurückgespult, den Ausflug abgebrochen, sie nach Hause gefahren, und ihr einen schönen Restgeburtstag gewünscht.

Eine andere Version ist, ich hätte die Großzügigkeit gehabt, ihrem narzisstischen Rausch, eine begnadete Autofahrerin zu sein, verbal zu applaudieren, das war mir nicht möglich, es hätte mir ihre vernichtende Bosheit erspart.

Ich habe zwei Jahre mit ihr gerungen, dass sie das zurück nimmt, zunächst telefonisch, dann per Brief.

Alles was sie antwortete war, ich würde sie zu Unrecht beschuldigen.

Ich habe sie danach nie wieder gesehen, gegen Ende ihres Lebens habe ich mit ihr regelmäßig telefoniert, meine Verletzung nicht mehr erwähnt.

Die Geschichte mit Julia erinnert mich daran. Der Begriff der toxischen Beziehungen ist verbraucht, auch wenn sie eine der wenigen aus meinem anderem Leben ist, diese Geschichte ist wohl auserzählt, sie nahm in der zweiten Nachricht Bezug darauf dass seit kurz vor Weihnachten das Licht zurück kehrt, ich sehe es nicht.

Der kluge Dr. Friedrich kommentierte meine Sehnsucht nach einem schönen Finale mit der Mutter,

“ wenn es niemals gut war, warum soll es das jetzt werden.“

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Herzlich Willkommen

Danke, dass du vorbeischaust! Ich bin Kathrin Köpp, psychologische Psychotherapeutin aus Hamburg. Neben meiner Arbeit in der Praxis biete ich eine Online-Beratung für Krisensituationen und diagnostische Einschätzungen für Selbstzahler ohne Wartezeit an. Auf diesem Blog möchte ich mit dir Geschichten aus meinem beruflichen und privaten Alltag als von MS-Betroffene teilen. Meine wichtigste Mitarbeiterin ist Miss Molly, nach zehn Jahren als Hauskatze auch als Queen Mom bekannt. Besonders bei ängstlichen und depressiven Patientinnen ist sie ein wertvoller Teil meines Teams.

Besuch gerne meine Homepage: Tiefenpsychologisch fundiert – Psychodynamisch fokussiert – Home

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